Bericht
Wem gehört das Internet? – Ein Rückblick auf unseren digitalpolitischen Herbstabend
Am 20.10.2024 fand der digitalpolitische Bits & Bäume Herbstabend unter dem Motto ''Wem gehört das Internet? – Macht, Eigentum und Demokratisierung digitaler Infrastrukturen'' in Frankfurt am Main statt. Neben der Tatsache, dass wir uns stärker mit der Community im Raum Frankfurt am Main vernetzen wollten, gab es einen weiteren Grund, den Herbstabend dieses Mal nicht in Berlin zu veranstalten; Einen Tag später begann in Frankfurt am Main der zweitägige Digitalgipfel der Bundesregierung. Der Gipfel wird seit 2006 jährlich ausgerichtet und hatte bisher einen staatlichen und unternehmerischen Fokus. Im letzten Jahr war zum ersten Mal auch die Zivilgesellschaft stellenweise vertreten. Die Erfahrungen vom letzten Jahr hatten uns jedoch klargemacht, dass wir nicht nur eine kleine Bühne auf dem Digitalgipfel haben wollten, sondern ein eigenes Bits & Bäume Event, bei dem wir als Zivilgesellschaft zusammenkamen. Wir berichten hier von der Eröffnung und den Keynotes.
25.10.2024 Leo
Das Podium mit Francesca Bria, Johanna Graf und Friederike Hildebrandt
Der Herbstabend wurde von unserer Koordinatorin Friederike Hildebrandt sowie Anja Höfner vom Konzeptwerk Neue Ökonomie und Ben Kees vom FIfF eröffnet. Nach einigen Eröffnungsworten zeigte Anja in ihrer Präsentation direkt auf, dass zwei Drittel des weltweiten Marktes für Clouddienstleistungen von gerade einmal drei Unternehmen beherrscht würden: Amazon Web Services, Microsoft und Google. Verschiedene Lock-in-Effekte, wie Exit-Gebühren beim Wechsel zu anderen Dienstleistern oder mangelnde Interoperabilität, sorgten dafür, dass Kund*innen weiter an diese Anbieter gebunden blieben. Zudem profitierten diese Anbieter enorm von dem Trend, dass immer mehr Tätigkeiten in die Cloud verlagert würden. Die Kosten für Mensch und Umwelt seien dabei immens: Rechenzentren hätten einen extrem hohen Energiebedarf und würden mit ihrem ebenfalls extrem hohen Wasserverbrauch nicht selten Ressourcen in den trockensten Regionen der Erde verbrauchen. Schnell wurde also klar: Um das digitale Leben demokratisch, ökologisch und gerecht zu gestalten, brauche es mehr Teilhabe und mehr digitale Souveränität.
In dem folgenden Podium mit Johanna Graf (Referentin für Digitalisierung und Klimaschutz bei Germanwatch), Friederike Hildebrandt (Koordinatorin bei Bits & Bäume) und der Gästin Francesca Bria wurde dieser Punkt weiter ausgeführt. Francesca Bria ist eine renommierte Expertin für Digitalpolitik und eine der bedeutendsten Denkerinnen in der Frage um die Demokratisierung des digitalen Lebens. Zuletzt hatte sie mit ihrem Zeit-Artikel über die Notwendigkeit digitaler Unabhängigkeit in Europa für viele Diskussionen gesorgt. Bria führte zunächst aus, dass Europa in Hinblick auf die Privatisierung digitaler Infrastruktur ein massives Problem habe. Die Privatisierung nehme insgesamt zu und führe dazu, dass die kritische digitale Infrastruktur Europas zunehmend von ein paar wenigen Milliardären beherrscht werde. Die Macht, die Milliardäre wie Elon Musk dadurch hätten, beschränke sich nicht nur auf die digitale Infrastruktur, sondern beziehe sich zunehmend auch auf das soziale und politische Leben. Bria beklagte, dass wir uns zu sehr an diese Konzentration von Macht gewöhnt hätten und dass wir gar nicht mehr bemerkten, wie Tech-Milliardäre sich über Gesetze erheben würden. „Es geht hier nicht um Technik, sondern um fundamentale Dienstleistungen für unser Leben“, appellierte sie an das Publikum. Und weil es sich um politische Probleme handele, so führte Bria weiter aus, müsse das Bewusstsein bei Politiker*innen für diese Themen geschärft werden.
Bria setze sich im Europäischen Parlament für einen sogenannten Eurostack ein. Damit meine sie eine robuste, umfassende, digitale öffentliche Infrastruktur, die die digitale Unabhängigkeit Europas sichern solle. Anstatt in eine solche Infrastruktur zu investieren, gehe der Trend in der EU allerdings eher hin zu Regulierungen. Regulierungen seien gut, so Bria, reichten aber überhaupt nicht aus, weil sich Tech-Giganten nur schwer regulieren ließen. Und gerade deswegen sei es so wichtig, in alternative Infrastrukturen zu investieren. Solche Alternativen sollten vor allem einer demokratischen Kontrolle unterliegen. Staatliche Kontrolle als Alternative zur Kontrolle durch Tech-Giganten sei jedoch ebenfalls keine Lösung, gerade in Zeiten, in denen in Europa rechte Kräfte an Macht gewinnen würden.
Nach einer abschließenden Fragerunde mit Fragen aus dem Publikum wurde Esther M’wema als nächste Referentin vorgestellt. Esther M’wema ist Künstlerin und Expertin auf den Gebieten von digitalen Rechten und digitaler Transformation. Seit mehreren Jahren setzt sie sich für eine gerechte Digitalisierung ein, wobei sie afrikanische, feministische und dekoloniale Perspektiven priorisiert. Sie hat in ihrem Input darüber gesprochen, wie die kapitalistische und koloniale Ideologie, die die Sklaverei ermöglicht habe, heute über digitale Infrastruktur fortgeführt werde. Zu Beginn zeigte M’wema mithilfe verschiedener historischer Bilder und eigener künstlerischer Werke, dass bereits früheste Vorstellungen von einer vernetzten Welt mit der Idee verknüpft gewesen seien, das Christentum, „Zivilisierung“ und westliche Vorstellungen von Freiheit und Rechtmäßigkeit in der Welt zu verbreiten – ganz ähnlich wie es die Erzählungen im Rahmen der kolonialen Verbrechen gewesen seien.
Im Anschluss schlug M’wema die Brücke zu heutigen Erzählungen, die den Bau von digitaler Infrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent begleiten würden. So folgten diese meistens einer positiven Rhetorik darüber, die digitale Kluft – also die Unterschiede im Zugang zu digitalen Technologien – zu schließen, diese für alle zugänglich zu machen und den Menschen auf dem afrikanischen Kontinent Fortschritt zu ermöglichen. Nicht nur hätten solche Erzählungen den faden kolonialen Beigeschmack, wem geholfen werden müsse und wie man sich selbst dabei darstelle, sondern führten manche Entwicklungen auch dazu, dass viele Menschen, die keinen Zugang zum Internet und zu verschiedenen digitalen Technologien hätten, mit dem Fortschreiten der Digitalisierung der Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung zunehmend verwehrt werde. Außerdem müsse sich, wie zuvor auch, erneut die Frage gestellt werden, wer die digitalen Infrastrukturen kontrolliere und welche Machtdynamiken dabei reproduziert und aufrechterhalten würden.
M’wema stellte anschließend Metas Projekt „2Africa“ vor, ein 45.000 Kilometer langes Unterseekabel, das den afrikanischen Kontinent umrunde. Allein der Name suggeriere, dass es sich hierbei um ein „Geschenk für Afrika“ handele. In den positiven Erzählungen rund um das Projekt werde allerdings außer Acht gelassen, dass mit dem Bau dieses Unterwasserkabels ein weiterer riesiger Anteil digitaler Infrastruktur in den Händen eines privaten Unternehmens des Globalen Nordens liege und sich damit der öffentlichen Kontrolle entziehe. Auch Google reihe sich mit seinem Unterseekabel „Equiano“, das von Portugal bis Südafrika verlaufe, in die Reihe der Projekte kolonialer Kontinuitäten ein. Das Unternehmen habe die positive Rhetorik allerdings mit der Namensgebung auf die Spitze getrieben. So sei Oladuah Equiano ein Aktivist und Kämpfer für das Verbot des Sklavenhandels gewesen. „Wie kann es okay sein, dass Google sich diesen Namen aneignet?“, fragte M’wema mit Nachdruck in die Runde. Es bleibe aber nicht bei diesem Projekt. Googles Glasfaserkabel „Umoja“, das den afrikanischen Kontinent mit Australien verbinde, führe im Landesinneren genau durch jene Länder, die reiche Vorkommen an seltenen Erden hätten, die für den Bau grüner Technologien essenziell seien. Schnell werde klar, dass sich Google den Zugriff auf diese Rohstoffe sichern wolle.
M’wema fasste am Ende noch einmal zusammen, dass all diese Tatsachen und der Fakt, dass 99 % aller Unterwasserkabel in der Hand privater Unternehmen seien, die Frage aufwerfen würden, ob das Internet wirklich ein öffentliches Gut sei, ob Big Tech in der Lage sei, auf ethische Weise die digitale Kluft zu schließen, und welche Kosten der digitale Fortschritt mit sich bringe.
Nach diesen starken Inputs gingen die Teilnehmenden des Herbstabends in verschiedene Workshops. Auf dem Programm standen dabei „Demokratisierung und Vergesellschaftung digitaler Infrastrukturen“ – Vincent Jahn (communia), „Open Source und das Fediverse als demokratische Alternative“ – Joseph de Veaugh-Geiss (Fediverse) und „Public Money, Public Good!“ – Jan-David Franke (Wikimedia). Zum Abschluss der Veranstaltung gab es dann noch einen gemütlichen Ausklang, bei dem – ganz in Bits & Bäume-Manier – genetzwerkt, diskutiert und geplaudert wurde.
Link zum Livestream der Eröffnung und der Keynotes: https://www.youtube.com/watch?v=zSAcnSKw-jQ