Reader
Bits & Bäume zum Koalitionsvertrag: Wolkig, wenig heiter.
Der neue Koalitionsvertrag ist veröffentlicht – und die im B&B-Bündnis organisierte Zivilgesellschaft schwankt zwischen Erleichterung und Enttäuschung. Wirkte der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition noch wie ein Blumenstrauß vielversprechender digitalpolitischer Ansätze, erscheint der Vertrag von Schwarz-Rot in dieser Hinsicht wie ein bewölkter Himmel – nur vereinzelt blitzen Lichtblicke durch. Ein Reader.
26.05.2025 Leo & Rike
Seit 2018 engagieren wir als Bündnis Bits & Bäume uns für eine nachhaltige und sozial gerechte Digitalisierung. Auch die neue Bundesregierung werden wir kritisch und konstruktiv begleiten - mit dem Ziel, unsere Forderungen in politische Prozesse einzubringen und den sozial-ökologischen Kompass in der Digitalpolitik zu stärken. Denn die kommenden vier Jahre werden entscheidend sein: Für den Klimaschutz, für soziale Gerechtigkeit – und für die Frage, wie Digitalisierung zur Lösung statt zur Verschärfung gesellschaftlicher und ökologischer Krisen beiträgt.
Bei Bits & Bäume (B&B) ist es unsere Stärke, ökologische, soziale und digitale Themen miteinander zu verbinden. In diesem Beitrag fassen wir zentrale Aspekte des Koalitionsvertrags zusammen, die für die Trägerkreisorganisationen von Bits & Bäume von Bits & Bäume relevant sind. Nicht jeder Punkt betrifft jede Organisation gleichermaßen oder wird von allen Organisationen vertreten – aber alle berühren die Wurzeln unserer gemeinsamen Arbeit: eine ökologisch tragfähige, global gerechte und sozial nachhaltige Digitalisierung.
Inhalt
- Ökologische Nachhaltigkeit und Digitalisierung
- Plattformregulierung und digitale Infrastrukturen
- Künstliche Intelligenz
- Demokratie und Transparenz
- Open Source, Digitale Bildung und Forschung
- Überwachung und digitaltechnische Aufrüstung
- Globale Menschenrechte
Ökologische Nachhaltigkeit und Digitalisierung
In der Klimapolitik, einem der drängendsten Themen unserer Zeit, zeigt der Koalitionsvertrag wenig Ambition. Die BUNDjugend spricht von „herben Rückschlägen in Klima- und Sozialpolitik.“ Laut Germanwatch drohe eine „Abschwächung durch [die] Hintertür“. Zentrale internationale Verpflichtungen geraten aus dem Blick: Brot für die Welt kritisiert den Verlust der Orientierung an den globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs), die ökologische und menschenrechtliche Standards weltweit sichern sollen. Selbst die bislang zugesagte jährliche Klimafinanzierung in Höhe von sechs Milliarden Euro finde keine Erwähnung mehr (interne B&B Umfrage zum Koalitionsvertrag).
Besonders enttäuschend fällt die Bilanz im Bereich Digitalisierung und Nachhaltigkeit aus. Dort heißt es im Koalitionsvertrag lediglich: „Bei der Entwicklung von Schlüsseltechnologien unterstützen wir (...) ökologische Nachhaltigkeit.“ (Z. 2274 f.). Konkrete Maßnahmen fehlen jedoch. Vor diesem Hintergrund fordert Germanwatch: „Die bisherige klare Verantwortungszuweisung für das Thema ökologische Nachhaltigkeit von Digitalisierung innerhalb der Bundesregierung sollte fortgeführt und gestärkt werden.“
Rechenzentren und Energieverbrauch
Auch bei der ökologischen Gestaltung digitaler Infrastrukturen wie Rechenzentren bleiben entscheidende Fragen offen. Fortschritte wie Transparenz- und Abwärmenutzungspflichten im Energieeffizienzgesetz sind ein Schritt in die richtige Richtung – ob sie Bestand haben, ist jedoch ungewiss. Der Deutsche Naturschutzring warnt darüber hinaus: „Die Koalition öffnet Tür und Tor für Tricksereien beim Klimaschutz. Wer Emissionsminderungen im Ausland auf heimische Ziele anrechnet, wer an überschätzte Technologien wie CCS für Gaskraftwerke glaubt und das Gebäudeenergiegesetz verwässert, verspielt Glaubwürdigkeit – und die Gunst der Stunde.“Ressourcenwende und Kreislaufwirtschaft
Die Digitalisierung verschärft den global ohnehin zu hohen Ressourcenverbrauch. Primärrohstoffe werden in großem Stil verbraucht, Recyclingquoten und die Rückführung in den Kreislauf bleiben unzureichend. Zwar ist die im Koalitionsvertrag getroffene Zielsetzung, den Primärrohstoffverbrauch zu senken und die Sharing Economy zu fördern, begrüßenswert. Gleichzeitig gibt die BUNDjugend zu verstehen „Ohne verbindliche, sektorspezifische Reduktionsziele bleibt dies ein Lippenbekenntnis“ (interne Umfrage). Skeptisch sieht sie zudem die Pläne für chemisches Recycling und Carbon Management, die nicht Bestandteil einer echten Kreislaufwirtschaft seien.Mit der 2024 erarbeiteten Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie bietet sich die Chance, Ressourcenschutz endlich politisch verbindlich zu verankern. Germanwatch fordert, für die Umsetzung der Strategie ausreichend Mittel bereitzustellen – und betont: Ohne konkrete finanzielle Mittel bleiben auch die besten Strategien wirkungslos. Auch die Digitalisierung muss aktiv zur Kreislaufwirtschaft beitragen. Das bedeutet einerseits, digitale Infrastruktur wie Rechenzentren, Netze und Endgeräte zirkulär zu gestalten – durch hohe Recyclingquoten, den Einsatz von Sekundärrohstoffen, eine Reparaturförderung etwa über steuerliche Anreize oder eine ausgeweitete Herstellerverantwortung und den Abbau regulatorischer Hürden für Remanufacturing und Refurbishment. Andererseits gilt es, digitale Technologien gezielt für die Kreislaufwirtschaft einzusetzen – etwa zur Ressourcenverfolgung, Produkttransparenz und Rückführung in Stoffkreisläufe. Besonders großes Potenzial sieht Germanwatch im digitalen Produktpass, der entlang der gesamten Wertschöpfungskette Transparenz schaffen und die Wiederverwendung und Reparatur erleichtern könne (interne B&B Umfrage).
Plattformregulierung und digitale Infrastrukturen
Im Vorfeld der Bundestagswahl forderte das Bündnis Bits & Bäume gemeinsam mit weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen in dem offenen Brief „Demokratie schützen, Gemeinwohl fördern: Online-Plattformen brauchen Kontrolle“ eine stärkere Regulierung von Online-Plattformen. Ziel war und ist es, dem wachsenden Einfluss großer Tech-Konzerne sowie der Verbreitung von Desinformation entschieden entgegenzutreten. Gerade in Zeiten, in denen Milliardäre mit ihren Plattformen gezielt in öffentliche Debatten eingreifen und demokratische Prozesse unterwandern, braucht es eine klare politische Haltung: Die Macht digitaler Infrastrukturen darf nicht länger unkontrolliert bleiben. Es braucht verbindliche Regeln, Transparenzpflichten und eine gemeinwohlorientierte Governance, die Demokratie schützt – auch im digitalen Raum.Digital Markets Act und Digital Service Act
Einige der im Brief formulierten Forderungen, darunter die angekündigte verstärkte Durchsetzung des Digital Markets Act und des Digital Services Act auf europäischer und nationaler Ebene, fanden Eingang in den Koalitionsvertrag. Germanwatch betont jedoch, dass es dafür deutlich mehr Personal braucht, um Verfahren gegen große Plattformen schneller umsetzen zu können. Ergänzend heißt es aus der Organisation: „Das wichtige Ziel, unlautere Geschäftspraktiken von digitalen Plattformen zu verbieten, sollte auch das Verbot von tracking-basierter Werbung im Rahmen des Digital Fairness Act beinhalten.“Auch der DGB sieht die Ankündigung einer effektiven Umsetzung des Digital Markets Acts, des EU-Digitalrechts und insbesondere der EU-Plattform-Gesetze allgemein positiv. Kritisch wäre es jedoch, das Digitalrecht zu einseitig „innovationsfreundlich“ umzusetzen und die Schutzzwecke der Gesetze zu vernachlässigen. Außerdem wäre es besser, darüber hinaus die Ausweitung des Anwendungsbereichs des DMA zu fordern und die digitalen Plattformen noch stärker auf gemeinwohlorientiertes Handeln zu verpflichten (interne B&B Umfrage).
Alternative, europäische digitale Infrastrukturen
Angesichts autoritärer Tendenzen in den USA und der Abhängigkeit Deutschlands und der EU von globalen Tech-Unternehmen werden Rufe nach souveränen digitalen Infrastrukturen lauter. Der Koalitionsvertrag greift mit dem „Deutschland-Stack“ Elemente der EuroStack-Initiative auf, die europäische, souveräne digitale Infrastrukturen schaffen will. Eine Beteiligung der Zivilgesellschaft bleibt in den aktuellen Konzepten digitaler Souveränität jedoch außen vor. Wikimedia kritisiert diese Initiative: Digitale Souveränität werde hier mit staatlicher Souveränität gleichgesetzt – und könne damit Tendenzen zu nationaler Abschottung und einem rückwärtsgewandten Denken in territorialen Grenzen fördern. Dabei gibt es bereits global konzipierte Ansätze.
Auch im Hinblick auf gemeinwohlorientierte Plattformalternativen bleibt der Koalitionsvertrag hinter den Erwartungen zurück. Wikimedia kritisiert: „Gemeinwohlorientierte Infrastrukturen? Fehlanzeige!“ Das Potenzial, den Ausbau solcher Strukturen strategisch zu steuern und dabei Mehrfachausbau oder Versorgungslücken zu vermeiden, bleibe ungenutzt. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) ergänzt: „Deutschland hat in den letzten Jahren eine lebendige Landschaft alternativer Plattformmodelle hervorgebracht – demokratisch, kooperativ, lokal verankert. Doch ohne gezielte Förderung drohen diese Ansätze zu versanden, statt den digitalen Wandel sozial und ökologisch voranzutreiben“ (interne B&B Umfrage). Es brauche mehr Forschung zu öffentlicher digitaler Infrastruktur, zu Plattformräten sowie zur Stärkung gemeinwohlorientierter Plattformen, so Germanwatch und das IÖW. Auch alternative, dezentrale Kommunikationsräume wie das Fediverse oder Mastodon werden im Koalitionsvertrag nicht erwähnt – obwohl sie wichtige Gegenmodelle zu etablierten Plattformen darstellen.
Künstliche Intelligenz
Investitionen in Künstliche Intelligenz sind im Koalitionsvertrag omnipräsent. Brot für die Welt kommentiert dies kritisch: „Mit Blick auf die dramatischen Ausmaße und Dynamiken ist es erstaunlich, dass der Koalitionsvertrag der verstärkten Nutzung von KI und dem weiteren Ausbau von Rechenzentren hohe Priorität einräumt ohne zugleich auf die ökologischen Folgekosten zu achten. Marktbasierte Mechanismen, von denen der Koalitionsvertrag einige wenige benennt, werden die ökologischen Probleme der von den Tech-Konzernen unermüdlich vorangetriebene Datafizierung nicht lösen (können). Dafür bedarf es eines umfassenden Gegenkonzepts, das geleitet ist von der Idee eines dezentral organisierten Internets, welches lokal und demokratisch entwickelte Technologien hervorbringt, die dem Gemeinwohl und dem Fortbestand unseres Planeten dienen.“ (interne B&B Umfrage).
Wikimedia stellt die Frage, ob Künstliche Intelligenz als Zauberformel für die Verwaltungsmodernisierung genutzt werden soll: „Egal ob in der Finanzverwaltung, Verwaltungsmodernisierung oder der Justiz, überall soll KI für Produktivitäts- und Modernisierungsschübe sorgen. Die „KI-Offensive“ mit dem „100.000-GPU-Programm“ legt den Schluss nahe, dass mit Künstlicher Intelligenz ausschließlich generative Systeme wie Chatbots gemeint sind. Das Problem: Sie produzieren Fehler, weil sie lediglich wahrscheinliche und plausibel erscheinende Aussagen treffen.“ Wikimedia schlägt stattdessen den Einsatz logikbasierter KI-Systeme auf der Basis sogenannter Wissensgraphen wie Wikidata vor, die einen vergleichsweise minimalem Energie- und Ressourcenaufwand haben.
Das FIfF konstatiert, dass „die vielen Milliarden Euro anstehende Förderung für KI-Träumereien nicht nur ein ökologischer Alptraum, ein Überwachungsbooster und ein funktionaler Rohrkrepierer sein werden, sondern an anderen Stellen dann fehlen werden“ (interne B&B Umfrage). Was wir bräuchten, wäre ein an tatsächlichen Einsatzszenarien orientierter KI-Diskurs, aber kein magisches Denken oder technikfixierter Solutionismus.
Auch der Chaos Computer Club kritisiert die Prioritätensetzung der Bundesregierung auf Datennutzung und KI – während das Grundrecht „informationelle Selbstbestimmung (...) auf den Scheiterhaufen [soll]“
Demokratie und Transparenz
Im Vorfeld der Bundestagswahl wurde intensiv über den Schutz der Demokratie diskutiert – nicht zuletzt angesichts der wachsenden politischen Einflussnahme durch Tech-Milliardäre wie Elon Musk. Dessen öffentliche Unterstützung der gesichert rechtsextremen AfD machte deutlich: Auch in Deutschland wächst die Gefahr, dass digitale Plattformmacht und antidemokratische Tendenzen Hand in Hand gehen. Zugleich schlug eine kleine Anfrage der CDU Wellen, in der zivilgesellschaftliche Organisationen pauschal unter Verdacht gestellt wurden, politisch gefärbte Arbeit mit staatlichen Mitteln zu betreiben. Vor diesem Hintergrund wurden die demokratie- und transparenzpolitischen Vorhaben der neuen Regierung mit besonderer Wachsamkeit betrachtet.Das Informationsfreiheitsgesetz
Eine erste Erleichterung brachte die Nachricht, dass das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erhalten bleibt: Während der Koalitionsverhandlungen stand zwischenzeitlich sogar eine Abschaffung des IFG im Raum – ein Vorstoß der Union, der letztlich abgewehrt werden konnte. Das feiern wir ausdrücklich. Gleichzeitig soll das IFG reformiert werden, um einen „Mehrwert für Bürger*innen und Verwaltung“ (Z. 1895 f.) zu schaffen. Wikimedia sieht hierin die Chance, endlich ein bundesweites Transparenzgesetz zu verankern – einen Entwurf hierfür hat die Initiative Transparenzgesetz bereits vorgelegt.Verbandsklagerechte
Weniger erfreulich sind die geplanten Einschränkungen im Umweltrecht: Das Verbandsklagerecht der Umweltverbände, das es ermöglicht, gegen umweltschädliche Verwaltungsentscheidungen zu klagen, soll beschnitten werden. Ebenso soll das Umweltinformationsgesetz verschlankt werden (Z. 1355). Der Koalitionsvertrag greift somit tief in Umwelt-, Planungs- und Beteiligungsrecht ein – in einer Zeit, in der es mehr Umweltschutz braucht, nicht weniger. So droht eine Politik der schnellen Wege – und der kurzen Sicht.
Der Deutsche Naturschutzring (DNR) warnt: „Denn was dieser Vertrag ebenfalls zeigt, ist ein Misstrauen gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern. Wer das Verbandsklagerecht beschneidet und das Informationsfreiheitsgesetz schleift, gefährdet nicht nur den Naturschutz, sondern den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
Demokratie und Gemeinnützigkeit
Auch bei der Gemeinnützigkeit gibt es Kritik: Menschenrechte und Demokratieförderung werden weiterhin nicht als gemeinnützige Zwecke anerkannt – stattdessen soll E-Sport künftig diesen Status erhalten. Brot für die Welt kritisiert diese Schieflage und warnt zudem vor der angekündigten Überprüfung des Förderprogramms Demokratie leben!. „Dass die Union künftig das Familienministerium führen und damit die Kontrolle über das Förderprogramm haben wird, dürfte viele Vereine beunruhigen, die sich mit Mitteln aus diesem Programm für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren.“ (interne B&B Umfrage).Schutz vor Einschüchterungsfragen
Ein positiver Aspekt ist die angekündigte zeitnahe Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie in nationales Recht. SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) sind rechtsmissbräuchliche Klagen, die darauf abzielen, Kritiker*innen durch aufwendige Gerichtsverfahren einzuschüchtern und ihre öffentliche Kritik zu unterdrücken. Die angekündigte Umsetzung der Richtlinie wäre ein wichtiger Schritt zum Schutz zivilgesellschaftlichen Engagements.Zu begrüßen ist zuletzt auch, dass die Koalitionspartner die “Mitbestimmung weiterentwickeln werden”. Der DGB erwartet, dass die Mitbestimmungsrechte sowohl im Betriebsverfassungsgesetz, im Bundespersonalvertretungsgesetz als auch die Unternehmensmitbestimmung gestärkt werden. Dies gilt sowohl im Kontext von KI-Nutzung am Arbeitslatz als auch als genereller Auftrag hinsichtlich der neuen Herausforderungen in der Arbeitswelt (interne B&B Umfrage).
Open Source, Digitale Bildung und Forschung
Die Förderung von Open Source zählt zu den Lichtblicken im Koalitionsvertrag. Der Chaos Computer Club befürwortet das Ziel, offene Standards und Open-Source-Software stärker zu fördern (interne B&B Umfrage). Auch Wikimedia sieht darin ein positives Signal, mahnt jedoch mehr strategische Konsequenz an an: „Es geht nicht nur darum, Lizenzkosten zu senken oder heimische Unternehmen zu bevorzugen.“ Es brauche eine staatlich gesteuerte Open-Source-Politik. Germanwatch ergänzt, dass es für den Ausbau von Open Source Verbindlichkeit brauche, beispielsweise über Open-Source-Quoten in der öffentlichen Förderung und Vergabe (interne Umfrage).Digitale Bildung & Kompetenzen
Positiv aufgenommen wird auch die geplante Stärkung digitaler Bildung. Besonders hervorzuheben ist die angekündigte Gründung einer unabhängigen Stiftung für Wissenschaftskommunikation und -journalismus. Wikimedia betont: „Da öffentliche Forschung und Wissenschaftskommunikation mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, sollten sie allen Interessierten frei zur Verfügung stehen. “. Ein klares Bekenntnis zur offenen Bildung als Leitbild bleibt jedoch aus.Forschung zu Digitalisierung
Der Ausbau digitaler Infrastrukturen – insbesondere im Bereich Künstliche Intelligenz – zieht sich durch den gesamten Koalitionsvertrag. Doch die dringend notwendige Forschung zu den sozialen und ökologischen Folgen bleibt unerwähnt. Das kritisieren das IÖW und das Ethics Lab der TU Berlin (interne Umfrage).Überwachung und digitaltechnische Aufrüstung
Brot für die Welt kritisiert die geplante Rückkehr zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung als massiven Eingriff in die Grundrechte (interne Umfrage). Der Chaos Computer Club wird noch deutlicher: „CDU, CSU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, gleich mehrere Massenüberwachungsvorhaben umsetzen zu wollen. Es sollen anlasslos Telekommunikations-, Autokennzeichen- und Biometriedaten von Menschen gehortet werden. Diese gigantischen Datensammlungen sollen in einer Art Rasterfahndung automatisiert durchkämmt werden dürfen. Dass die Koalition sich damit den Abbau wichtiger Grundrechte und eine ganze Überwachungsliste auf die Agenda geschrieben hat, ist besonders vor dem Hintergrund des Erstarkens des Rechtsextremismus besorgniserregend“ (interne B&B Umfrage).
Auch die im Koalitionsvertrag geforderte „Kultur des Datenteilens“ (Z.2238) sieht der Chaos Computer Club als Türöffner für Überwachungskapitalismus. Besonders kritisch sei das Vorhaben, Menschen mit „psychischen Auffälligkeiten“ (Z. 2264) in speziellen Registern zu erfassen – ebenso wie die Sammlung biometrischer Daten. Diese Maßnahmen könnten zukünftigen, autoritären Regierungen eine gefährliche Grundlage für Repressionen liefern.
Die geplanten Rüstungsausgaben stoßen auf Kritik vom FifF, umfassen sie auch technische Möglichkeiten digitaler Angriffe, also das Hacken fremder Systeme durch die Bundeswehr. Zu den geplanten Rüstungsausgaben erinnert das FifF an den verfassungsrechtlichen Auftrag der Bundeswehr, der ausschließlich auf Landesverteidigung ausgerichtet ist – nicht auf „Kriegstauglichkeit“.
Eine auf Verständigung und Kooperation ausgelegte Digital- und Sicherheitsstrategie würde eine rein defensive Ausrichtung der Cyberfähigkeiten von Militär und Sicherheitsbehörden bedeuten. Diese Beschränkung findet im Koalitionsvertrag allerdings keine Erwähnung. Das FifF befürchtet, dass gemäß dem Vorbild USA, die die aggressive Strategie des „Defend Forward and Persistent Engagement“ fahren, auch für die deutsche Digital- und Sicherheitsstrategie das Schlimmste anzunehmen sei (interne B&B Umfrage).
Globale Menschenrechte
Menschenrechte bleiben im Koalitionsvertrag weitgehend unterbelichtet – insbesondere mit Blick auf globale Lieferketten. Dies betrifft nicht nur die Produktion digitaler Hardware, sondern auch Dienstleistungen wie Clickwork oder die Vorcodierung von KI-Systemen (mehr dazu in „Digital die Welt retten?!“, BUND & Bits & Bäume,, Kap. 5).Besonders kritisch zu sehen ist die geplante Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes samt Berichtspflichten und allein auf die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) zu setzen. Brot für die Welt warnt: „Laut Koalitionsvertrag sollen bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes nur noch ‚massive Menschenrechtsverletzungen‘ in Lieferketten sanktioniert werden. Dadurch würden Menschenrechtsverletzungen in sanktionswürdige und tolerierbare eingeteilt, was rechtliche Grauzonen schafft und das Leid der Betroffenen verharmlost.“ Germanwatch kritisiert zusätzlich die irreführende Kommunikation der neuen Koalition zum Lieferkettengesetz – die auch zu Verunsicherungen bei Unternehmen führe.
Erschwerend kommt laut Brot für die Welt hinzu: Die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit wird voraussichtlich gekürzt und vorrangig in den Dienst von Migrationsabwehr, Rohstoffgewinnung und Außenwirtschaftsförderung gestellt.